Kultur des konstruktiven Umgangs mit Konflikten

Konflikte gehören zu den unangenehmsten Erfahrungen im täglichen Leben. Streiten gilt sogar als negativ. Zumindest lernen wir das so in unserer Gesellschaft.

Hört auf zu streiten. Der Klügere gibt nach… etc. Das sind Sätze, die uns lehren, dass ein Konflikt oder untrschiedliche Meinungen bedrohlich werden können. Und genau so reagieren wir im Streitfall in der Regel: wir fühlen uns bedroht, manchmal so, als ob jemand nach unserem Leben trachten würde. Leider geht dabei verloren, was unterschiedliche Sichtweisen so wertvoll macht: neue, andere und meist recht aufschlussreiche Impulse, die nachhaltig echte Entwicklung und Neues Denken anregen könnten.


Mut und Neues Denken

Damit das gelingen kann braucht es Mut. Und zwar zum Schritt heraus aus der Komfortzone. Übrigens: je nachdem, ob das jemand spielerisch und humorvoll, bierernst oder ängstlich tut, ändert sich die Energie dieses Mut-Schrittes. In Zeiten der Bedrohung verbinden viele damit eine große Attacke an den vermeintlichen Angreifer. Und spätstens dann ist das Kind vorerst in den Brunnen gefallen. Druck erzeugt Gegendruck und Angriff erzeugt Gegenangriff. Alles weitere könnt ihr euch selbst ausdenken.

Die Zeiten, in denen große Grabenkämpfe als notwendig für mutige Menschen erachtet wurden, erscheinen mir ein wenig antiquarisch, oder wie ich vor kurzem in einer Rede einer Mitt-Dreissigerin gehört habe: das ist so 90er 😉 Für mich als Kind der 60 Jahre, erscheint es eher so 70er. Eines ist es immer: es erzeugt Umwege, die mehr mit Angriff und Verteidigung, Verletzung und Schmerz zu tun haben, als mit konstruktivem Umgang miteinander, geschweige denn mit Toleranz oder Lösungen.

Erste Schritte im konstruktiven Umgang mit Konflikten
Aus meinem Buch

Konflikte entstehen ganz einfach gesagt, immer dann, wenn zwei oder mehr Menschen eine klare Meinung zu einem Thema oder zur Lösung eines Problems haben und mindestens eine:r überzeugt ist, dass nur ihr:sein Zugang der richtige ist.

Das ist allerdings rein sachlich immer falsch. Denn die Erfahrung lehrt uns: Für jedes Problem oder jede Herausforderung gibt es immer mindestens drei Lösungen. Und alle führen zum Ziel.

Konflikte sind übrigens deshalb so unangenehm, weil sich oft ein Gefühl der Unsicherheit einstellt, wenn es unterschiedliche Herangehensweisen gibt und man selbst nicht einschätzen kann, ob sie denn auch zweckmäßig oder zielführend sind.

„Vertrauen können“ will geübt werden

Dazu müsste man nämlich im „Vertrauen können“ geübt sein.

  • Vertrauen, dass auch andere etwas können und wissen
  • Vertrauen, dass andere einen gerechtfertigten Standpunkt vertreten, auch wenn er uns selbst unverständlich erscheint
  • Zuhören: Damit man vertrauen kann, muss man unter anderem zuhören wollen – und zwar mit offenem Herzen, mit offenem Geist und mit offenem Willen
  • Fakten sind kein Gottesurteil: kulturell gesehen, haben wir gelernt vorrangig an Fakten zu glauben. In den letzten Jahren wurde sogar diese unverrückbare „Wahrheit“ in Frage gestellt. Was kann man also glauben? Grundsätzlich gilt: Wir sehen Fakten immer mit der Brille unserer Bewertungen, Belief-Systeme und innerhalb der Grenzen unserer Tabus. Und wir hegen Vorurteile gegenüber Fakten anderer Belief – Systeme
  • Bauchgefühl: unserer inneren Stimme zuhören hilft, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob wir das Gegenüber als glaubwürdig empfinden

Voraussetzungen, damit Konflikt gelingt


Aber zurück zum Konflikt. Damit es erfolgreich zum Konflikt kommt, also zum Streiten darüber „was richtig ist“, brauchen wir ein paar Voraussetzungen:

  1. Die Annahme, dass nur ich weiß, wie es geht
  2. Die Überzeugung, dass nur ich Spezialistin bin und
  3. Die Verweigerung eben ganz (oder mit allen Sinnen) zuzuhören


… und jetzt umgekehrt

Wenn ich dieses Gedankenexperiment jetzt aber einfach umdrehe, dann wird es interessant. Dann repräsentieren Konflikte doch eigentlich ganz einfach unterschiedliche Meinungen zu einem Thema und können durch die Diversität, die damit entsteht, ein richtige Schatzkiste für neue Lösungen sein. Wohlgemerkt: Immer nur so lange wir unser individuelles Sicherheitsempfinden damit nicht nachhaltig stören. Dort liegt das Geheimnis begraben, warum es so schwer erscheint, die Schatzkiste Konflikte zu nutzen.

Zauberkiste Körperwahrnehmung – embodied communication

Wenn du also merkst, dass sich grade dieses unangenehme Gefühl des „ich fühle mich gerade in Frage gestellt oder sogar bedroht“ einstellt – ohne dass jemand mit körperlicher Gewalt droht – dann halte kurz inne, und frage dich: was versucht mir die*der andere begreiflich zu machen. Meint sie*er es ernst mit dem Vorschlag? Wenn nein – frage genauer nach. Wenn ja – versuche zu begreifen was sie*er wirklich meint oder versucht zu sagen.

Dazu kannst du z.B. formulieren: irgendwie spüre ich einen Widerstand in mir – könntest du bitte versuchen, es mir anders zu erklären? Oder anders gesagt: beschreibe was du körperlich empfindest und versuche dann noch einmal den Inhalt zu begreifen. Das Gegenüber kann so nachvollziehen, warum du dich kurz zusammengezogen bzw. zurückgezogen hast und kann ins Handeln kommen, also behilflich sein. So könnt ihr aus der nur allzu oft auftretenden Missverständnis-Spirale aussteigen, die in etwa so heißt „der*die stellt mich in Frage, glaubt mir nicht, hält mich für unwissend“.

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